01.01.0001 | Stadt und Umland - eine Schicksalsgemeinschaft | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Raumordnung und Landesplanung haben das Ziel, überall im Freistaat Bayern annähernd gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Im Landesentwicklungsprogramm Bayern, das in den 70er-Jahren entwickelt wurde, sind diese Ziele definiert. Heute nach mehr als 25 Jahren haben die verschiedenen Instrumente der Raumordnung und Landesplanung ihre Erfolge gezeigt. Die Lebensverhältnisse sind weit-gehend angeglichen. Die Gemeinden im unmittelbaren Umland der großen Städte haben nicht nur gleichgezogen, die Lebensverhältnisse sind oft besser als die der Kernstädte. Die Kernstädte, wie z. B. Würzburg, haben kontinuierlich Bewohner an die umliegenden Gemeinden abgegeben. Diese Bewohner fühlen sich nach wie vor als Angehörige der großen Stadt, sie nehmen alle Annehmlichkeiten wahr, haben allerdings niedrigere kommunale Lasten (Grundsteuer und sonstige Kommunalabgaben). Zur Zeit der Gebietsreform in den 70er-Jahren hatten Stadt Würzburg und Landkreis Würzburg annähernd gleich viel Einwohner (130.000). Der Landkreis ist mittlerweile auf über 160.000 Einwohner angewachsen, die Stadt Würzburg hat 4.000 Einwohner (126.000) verloren. Dabei sind die in unmittelbarer Nähe liegenden Gemeinden Nutznießer dieser Wanderung. Insbesondere haben kaufkräftige und finanzkräftige Bürger die Stadt verlassen. Die Stadt konnte aus Platzmangel die notwendigen Baugrundstücke für diese Menschen, deren Arbeitsplatz nach wie vor in Würzburg ist, nicht bereitstellen. In den an Würzburg unmittelbar angrenzenden Gemeinden Estenfeld, Gerbrunn, Höchberg, Randersacker, Reichenberg, Rimpar, Rottendorf, Veitshöchheim und Zell wohnen etwa 56.000 Menschen. Sie alle haben zum Rathaus höchstens 10 km zurückzulegen. Das gleiche gilt auch für Hettstadt, Güntersleben, Margetshöchheim, Waldbüttelbrunn und Eibelstadt. Rechnet man diese Menschen dazu, wohnen in einem 10-Kilometer-Umkreis um das Würzburger Rathaus neben den 126.000 Würzburgern noch ca. weitere 70.000 Menschen. Sie haben die gleichen Lebensverhältnisse wie die Würzburger. Die Verflechtung ist über Arbeitsplätze und Schulen sowie kulturelle Einrichtungen, Sportvereine und andere Institutionen sehr stark gegeben. Im Mittelalter und lange in der Neuzeit umgaben sich Städte mit Mauern. So wurden der räumlichen Entwicklung Grenzen gesetzt, aber auch Menschen ein- bzw. ausgegrenzt. Stadtluft machte frei und wer diese Freiheit genießen durfte, wurde streng behandelt. So bildete sich innerhalb strenger Regeln, auch Bauregeln, eine urbane Siedlung. Diese Zeiten der städtischen Selbstbeschränkung sind vorbei. Die Verflechtung gerade im Raume Würzburg ist nicht mehr wegzudenken. Sehr häufig fahren Bürgerinnen und Bürger, die in den Umlandgemeinden wohnen, zum Arbeiten oder zum Einkaufen in die Stadt (50.000 Berufspendler nach Würzburg) oder nehmen die kulturellen Angebote wahr (Defizit des Stadttheaters DM 16 Mio; Defizit der Stadtbücherei DM 3 Mio, Nutzung durch Nicht-Würzburger über 50 Prozent). Die städtischen Schulen, seien es Gymnasien, Real- und Berufsschulen,
nehmen viele Gastschüler auf (ebenfalls über 50 Prozent). Die
Leitungsnetze der städtischen Versorgungsbetriebe reichen weit über
den Burgfrieden hinaus. Städtische Kläran-lagen, an die viele
Umlandgemeinden angeschlossen sind, erbringen ihre Leistung für das
ganze Verflechtungsgebiet. Auch die Stadtbürger erholen sich gerne
außerhalb, nicht immer zur Freude derer, die nicht oder nicht mehr
in der Kernstadt leben. Man ist heute mehr denn je aufeinander angewiesen.
Stadt und Umland haben ei-nen hohen Abstimmungsbedarf, das leugnet niemand.
Eine Kommunalpolitik aus einem Guß wird gefordert. Das heißt,
Gewerbepolitik, Verkehrspolitik, Versorgung, Abwasser, Schule, Kultur,
Bauland, Sozialpolitik und Altenpolitik müssen in einer Verflechtung
aus einem Guß sein. Die derzeitige Rechtslage gibt dies nicht her.
Die Gemeinden sind verständlicherweise zu freiwilligen Leistungen
nicht bereit, der be-treffende Landkreis hat auch an weit entfernte Gemeinden
zu denken. Aufgabe des Freistaats wird es in Zukunft sein, hier helfend
zur Seite zu stehen. Einige Zweckverbände (Abwasserzweckverband,
Sing- und Musikschule, Naherholung) funktio-nieren bereits. Andere müßten
besser funktionieren. Einige Beispiele sollen dies aufzeigen: Dies sind:
Diese Verhandlungen führten und führen jedoch zu keinem Erfolg. Daher ein neuer Vorschlag: Bisher gingen die Bemühungen der großen Schulstädte dahin, anstelle der für die Realschulen und Gymnasien im Schulfinanzierungsgesetz vorgesehenen Pauschalen eine Erstattung der tatsächlichen Kosten von den kreisfreien Städten und Landkreisen zu erhalten. Das Thema Gastschulbeiträge sollte mit einem neuen Ansatz nochmal angegangen werden. Der Landkreis kann höhere Gastschulbeiträge letztlich nur durch höhere Kreisumlagesätze finanzieren, die er von sämtlichen kreisangehörigen Gemeinden seines Gebietes erheben muß. Es stellt sich dabei die Frage, wieso sollten vom Oberzentrum räumlich weiter entlegene Gemeinden, aus denen nur wenige Schüler in Würzburg weiterführende Schulen besuchen, zugunsten der unmittelbaren Stadtumlandgemeinden höhere Kreisumlagebelastungen tragen? Es wäre sicherlich sachgerechter, die Umlandgemeinden selbst anstelle des Landkreises und damit letztlich sämtlicher Landkreisgemeinden zu Beitragsschuldnern zu machen, da aus den Umlandgemeinden die überwiegende Zahl der Gastschüler kommt. In diesen Umlandgemeinden zahlen die Eltern dieser Schüler als Hausbesitzer ihre Grundsteuer, als Gewerbetreibende ihre Gewerbesteuer und als Einwohner ihre Lohn- und Einkommensteueranteile oft angesichts der besonderen sozialen Struktur in den Umlandgemeinden in nicht unerheblicher Höhe. Von hier kommen die Schüler, hier werden die notwendigen Steuereinnahmen realisiert. Von den Hebesätzen her wären durchaus noch Angleichungen an das städtische Niveau denkbar, denn die Lebensverhältnisse und Ansprüche, z. B. auch an die Ausbildung der Kinder, sind dort längstens auf hohem städtischen Niveau. Das Schulfinanzierungsgesetz sollte daher so novelliert werden, daß der Schuldner des Gastschulbeitrags nicht wie bisher der Landkreis ist, sondern künftig die Wohnsitzgemeinde mit der Erstattung der tatsächlich durch ein Gastschulverhältnis bedingten Kosten. Dieser Vorschlag würde für den Staat keinerlei haushaltsmäßige Belastung, sondern lediglich eine gerechte Belastung derjenigen Gebietskörperschaften bedeuten, die auch den unmittelbaren Vorteil haben und bei denen auch die notwendigen Steuerein-nahmen erzielt werden oder erzielt werden können. Im sozialen Bereich gibt es einige kleine Ansätze der Zusammenarbeit
zwischen Stadt und Land. Dies gilt für Erziehungsberatungsstellen,
Ehe- und Familienberatungsstellen und als Beispiel einer gelungenen Kooperation
das relativ kleine Projekt "Streetwork" - Straßensozialarbeit
mit gefährdeten jungen Menschen und Erwachsenen aus Stadt und Landkreis
Würzburg unter Trägerschaft des Caritas-Verbandes und des Diakonischen
Werkes. Die Stadt Würzburg finanziert DM 60.000,-- und der Landkreis
DM 20.000,-- dieser Maßnahme. Bei vielen anderen Projekten partizipiert
der Landkreis bzw. die Umlandgemeinden; Zahlungen werden von dort aus
nicht geleistet. Dies gilt beispielsweise für Jugendzentren und Jugendfreizeitstätten,
wie die Aktion junge Arbeitslose (AJA), die Kinder- und Jugendfarm in
der Leistenstraße, das Jugendkulturhaus und das Cafe Kairo, das
Jugendzentrum Bechtolsheimer Hof sowie die Kindertheater im Stadtgebiet
Würzburg. Auch das Selbsthilfebüro der Stadt Würzburg,
das 280 Selbsthilfegruppen und -initiativen ko-ordiniert, wird allein
von der Stadt getragen. Stichprobenartige Untersuchungen ha-ben ergeben,
daß das Verhältnis von Stadt zu Landkreis etwa bei 60 : 40
Prozent liegt.
Das Alten- und Pflegeheim St. Nikolaus wird von der Stadt Würzburg mit 2,7 Mio DM zu 100 Prozent gefördert. Der Landkreis bzw. die Stadt-Umlandgemeinden beteiligen sich an diesen Kosten nicht. Einige andere Punkte in den Stadt-Umland-Beziehungen, die zum Nachteil der großen Kommune gehen, seien nur erwähnt. Es besteht ein fast ruinöser Wettbewerb hinsichtlich der Gewerbeflächen. Die Stadt ist hier flächenmäßig beschränkt. Die von hier zu verlangenden Preise für Gewerbeflächen sind relativ hoch. Eine Abwanderung in die vielen klein klein geplanten Umlandgemeinden ist in den letzten Jahren erfolgt. Für die Region bestimmt gut, für die Stadt letztlich schädlich. Hier ist eine gemeinsame Planung von Gewerbeflächen notwendig, Ausgaben und Einnahmen müssen ge-poolt werden. Das gleiche gilt für die allgemeine Siedlungspolitik, auch hier ist großräumig zu denken, was aufgrund der derzeitigen Rechtslage nicht möglich ist. Wasser, Abwasser und Erholung sind positiverweise durch Zweckverbände gut geregelt. Allerdings ist dabei zu bemerken, daß beispielsweise Gemeinden, die dem Abwasserzweckverband angehören, Zuschüsse beim Anschluß an die Würzburger Kläranlage seitens des Staates bekommen. Die Stadt muß ihren Anteil selbst finanzieren. In der Krankenversorgung bestehen in Würzburg keine Nachteile für die Stadt, da die Kliniken alle entweder in staatlicher oder anderer Trägerschaft sich befinden. Beim Thema Kultur gibt es einen Zweckverband hinsichtlich der Sing- und Musikschule. Alle anderen Einrichtungen - ob Zuschüsse bei freien Kulturträgern oder an städtische Kulturträger - werden allein von der Stadt finanziert. Das Stadttheater, das die ganze Region einschließlich Teile Westmittelfrankens und des Main-Tauber-Kreises als Einzugsgebiet hat, erfordert netto jährlich 16 Mio DM Zuschuß. Zwei Drit-tel der Besucher kommen von außerhalb. Bei der Stadtbücherei mit einem Zuschußbedarf von 3 Mio DM jährlich werden 40 Prozent auswärtige Ausleiher gezählt. Die Festungsmauern Würzburgs, die im letzten Jahrhundert die Entwicklung
gehindert haben, sind gefallen. Allerdings konnte Würzburg, auch
bedingt durch seine Zerstörung, die Agglomerationsbewegungen nicht
voll mitmachen. Zunächst dachte man an den Aufbau der Innenstadt,
man hing auch hinsichtlich der Gewerbepolitik und Gewerbeansiedlungspolitik
zu sehr an der Verwaltungs-, Beamten- und Universitätsstadtmentalität,
so daß zunächst bis in die 70er-Jahre man über den eigenen
Kirchturm hinaus nicht schaute. Die Gemeindegebietsreform Anfang der 70er-Jahre
brachte für Würzburg nicht die große notwendige Lösung.
13 Umlandgemeinden sollten damals in das Stadtgebiet Würzburg eingegliedert
werden (Gerbrunn, Höchberg, Lengfeld, Veitshöchheim, Ober- und
Unterdürrbach, Margetshöchheim, Ran-dersacker, Reichenberg,
Rottenbauer, Rottendorf und Zell). Sicherlich eine weitsichtige und raumordnerisch
sinnvolle Lösung. Ein einheitliches Flächenentwicklungskonzept
wäre möglich gewesen und viel Fehlentwicklungen auf der grünen
Wiese hätte man vermeiden können. Als Außenstehender könnte
man meinen, daß die vielen Gewerbegebiete um Würzburg herum
mit dem Ziel geplant (verplant) wurden, damit sie nie sich mit einem größeren
Würzburger Gewerbegebiet verzahnen können. Die dabei entstehenden
unproduktiven Kosten nahm man aus egoistischen Gründen gerne in Kauf.
Der Speckgürtel wohlhabender selbständiger Gemeinden (eine kann
sich sogar eine eigene Sing- und Musikschule leisten) entstand. Es hat
natürlich auch auf das städtische Leben Auswirkungen, wenn ein
großer Teil von Professoren, Verwaltungsbeamten (z. B. drei städtische
Referenten), Managern und gut verdienenden Freiberuflern, die alle in
der Stadt arbeiten, nicht mehr dort wohnen. Dies gilt nicht nur wegen
der Einkommensteueranteile und der Kraftfahrzeugsteueranteile, die der
Stadt verbleiben oder eben nicht. Würzburg hat seine Flächenprobleme
und Stadt-Umlandprobleme auch nach Fall der Festungsmauern nicht lösen
können. Dies ist nicht alleine Schuld dieser Stadt, sondern hängt
mit der Kommunalpolitik im Freistaat Bayern eng zusammen. Im Landtag haben
die ländlichen Abgeordneten aller Parteien eine gewisse Übermacht
und haben diese immer wieder gezeigt. Wenn jedoch der Freistaat auf die
Dauer im Reigen der europäischen Regionen mitspielen will, muß
er von diesem selbstsüchtigen und kleinkrämerischen Denken wegkommen.
Die Abgeordneten müssen über ihren Kirchturm hinausschauen in
ihre Region, in ihr Land, in ihre Bundesrepublik, über Europa hinaus
in die Welt. |